Markus Gehrig
Ein Update zu Leistungsschaltern
Leistungsschalter kosten richtig viel Geld. Dagegen sind die Schmelzsicherungen ein Schnäppchen. Und dazu kommt noch die kostspielige Wartung der Leistungsschalter hinzu. Was von diesen Behauptungen noch richtig ist, lesen Sie in diesem Artikel.
Soll ein Leistungsschalter wirklich alle fünf Jahre gewartet, also auseinandergebaut und revidiert werden? Ja, das trifft bei den offenen Leistungsschaltern tatsächlich zu. Diese können durch eine ausgewiesene und vom Herstellerwerk autorisierte Fachperson oder Fachfirma revidiert werden. Eine solche Revision beinhaltet im Wesentlichen die Reinigung der Kontaktelemente, Löschkammern, Schmierung der Mechanik und Prüfung des Federaufzugs und falls vorhanden, auch des Antriebsmotors. Ausserdem wird der Auslöser auf seine Funktion inspiziert. Das trifft also auf die grossen ACB zu, die meistens im Strombereich über 1000 Ampere eingesetzt werden. Schalter dieser Bauart gehören fast immer der Selektivitätskategorie B an und sind daher für Zeitselektivität geeignet. Die Kurzschlussverzögerungen können da gut und gerne 300 bis 500 ms betragen. Solche ACB, die einen Kurzschluss abgeschaltet haben, sollten sofort revidiert werden.
Aber wie sieht es mit all den vielen Kompaktleistungsschaltern aus? Der Blick in die Kataloge gibt eine eindeutige Antwort: Diese Schalter sind wartungsfrei. Eine Wartung daran ist nicht vorgesehen und das Öffnen kann Beschädigungen verursachen und führt in jedem Fall zum Verlust der Gewährleistung. Das Drücken einer Prüftaste, das Anschliessen eines Prüfgerätes oder Computers und das visuelle Prüfen eines Schalters ist weder eine Revision noch eine Wartung, sondern eine Inspektion. Eine Inspektion ist grundsätzlich bei jedem Schalt- und/oder Schutzgerät sinnvoll, wenn eine gewisse betriebliche Wichtigkeit oder ein besonderes Gefahrenpotenzial besteht. Die allgemeine Pflicht dazu erwächst aus der Starkstromverordnung und betrifft nicht nur Leistungsschalter.
Schutzauslöser und Schalteinheit
Hingegen ist im Lichte der Kreislaufwirtschaft durchaus zu kritisieren, dass Schalter nicht mehr wartbar sind, denn die mechanischen Komponenten könnten deutlich länger im Betrieb bleiben, da sie technisch nicht so sehr veralten und durch die präventive Instandhaltung länger fit bleiben. Die Trennung von Schalt- und Schutzgeräten wie in der Hochspannung üblich, kommt nun auch allmählich in der Niederspannung. Das könnte dazu führen, dass die stark technologiegetriebenen Schutzgeräte häufiger ausgewechselt werden, als der mechanische Teil der Leistungsschalter. Das setzt natürlich voraus, dass Ersatzteile bis über 30 bis 40 Jahre erhältlich sind. Erste abgesetzte Schutzgeräte, welche Schalter auch von anderen Fabrikaten auslösen können, sind von ABB auf dem Markt.
Was ABB seit Jahren im Programm hat und in der nächsten Ausgabe der Produktnorm IEC 60947-2 im Anhang L als Klasse W aufgenommen wird, haben die anderen Hersteller noch nicht: Schutzgeräte, die auf jeden Leistungsschalter passen. Der mechanische Teil von Kompaktleistungsschaltern ist weitgehend ausgereift. Hier ändert sich nicht mehr viel. Bei ABB und Schneider Electric sind pro Pol zwei in Serie geschaltete Löschkammern verbaut, etwa wie das in der Modellzeichnung Abb. 2 dargestellt ist. Das verlängert den wirksamen Lichtbogen drastisch und erhöht somit die Lichtbogenspannung, was bei sehr hohen Kurzschlussströmen zu einer sehr starken Energie- und Strombegrenzung führt.
Ganz anders sieht es bei den Schutzauslösern aus. Hier gibt es einen Trend hin zur Vernetzung und stärkeren Integration in die Leittechnik. Um einen Schalter über Modbus-RTU oder Modbus-TCP in die Leittechnik einzubinden, gibt es bei allen grossen Herstellern Auslöser, die über eine solche Lösung verfügen. Damit lassen sich Messdaten und Schalterdaten übertragen. ABB hat sogar ein standardisiertes Protokoll für alle Schalter, so dass die Schnittstelle einfach in die Leittechnik integrierbar ist. Will man Schalter auch ansteuern kann und ereignisorientierte Reaktionen der Schalter implementieren, ist eine Kommunikation nach IEC 61850 erforderlich. Da bieten ABB, Schneider Electric und Siemens Lösungen. Dass sich bisher die Kommunikation über IEC 61850 noch nicht durchgesetzt hat, ist vor allem in den unteren Layern des ISO-OSI begründet: Hier fehlen den Integratoren die grundlegenden Kenntnisse in der redundanten Netzwerktechnik. Was in der Gebäudeleittechnik noch genügt, reicht bei Schaltanlagenleittechnik mit aktiver Schaltung über das Netzwerk bei weitem nicht. Kunden lehnen die aktive Schaltung über das Netzwerk ab und nennen Netzwerkprobleme. Netzwerkprobleme sind Konzeptions- und Konfigurationsprobleme, praktisch nie EMV-Probleme. Die Technik ist da und nach 20 Jahren auch richtig ausgereift, die Projektnachfrage ebenfalls. Aber das Fachwissen in der Schweiz ist noch sehr dünn gesäht. Wer in die Nische springt und in der Lage ist, mit PRP und HSR ein völlig unterbrechungsfreies hochverfügbares Netz aus IEDs zu konfigurieren, welches dann auch noch die Zugangsrichtlinien sauber, transparent und rollenbezogen einrichtet, der ist der Konkurrenz bei den Integratoren ein grosses Stück voraus.
Leittechnik oder IoT
Bis das so weit ist, kann man die Schalter von Siemens, Schneider Electric, Eaton, ABB und anderen als IoT verwenden und über eine Cloud-Anbindung auf proprietärem Weg eine erweiterte Funktionalität für die Wartung und Inspektion und Instandsetzung nutzen. Da kann man von einem Megatrend sprechen, den die grossen Elektrotechnikkonzerne seit einigen Jahren vorantreiben. In Zukunft werden auch hier nur noch Funktionen verkauft, das Gerät spielt eine völlig untergeordnete Rolle. Bei ABB kaufe ich einen Schalter mit einem EkipTouch-Auslöser und der hat hardwaremässig schon alles drin, um auch ein Power-Analyser zu sein, Schutz richtungsabhängig zu gewährleisten und zu verriegeln oder unterschiedliche Parametersätze für verschiedene Betriebssituationen zu konfigurieren, bis hin zum Generatorschutz wie zum Beispiel einen ROCOF-Fehler zu erkennen und vieles mehr. Die Funktionen werden über den Webshop gekauft und im Gerät freigeschaltet, auch Jahre später, wenn auf einmal eine Funktion gebraucht wird.
Hager kündigt auf Anfrage an, nächstes Jahr auch Schutzauslöser mit Bildschirm und angepasster Bedienung anbieten zu können.
NA-Schutz
Auch der NA-Schutz kann mit Leistungsschaltern statt mit Schützen realisiert werden. Aber egal, ob man Schützen oder Schalter verwendet, es ist eine Pufferung für 3 Sekunden nötig, damit das Ganze vorschriftsgemäss funktioniert, denn sonst könnte der Unterspannungsauslöser oder das Schütz zu früh und unkontrolliert abfallen, was fatal für die Netzstabilität wäre. ABB und Hager bieten dazu entsprechende Musterschemas. Der Leistungsschalter ist gleichzeitig NA-Schutz und Leitungsschutz. Mit einer Schmelzsicherung braucht es zusätzlich noch ein Schütz oder einen Leistungsschalter ohne Schutzauslöser und das ist insgesamt deutlich teurer.
Weitere Funktionen wie Wartungsschaltungen sind bei allen grossen Schalterherstellern (SE, ABB, Siemens, Eaton) erhältlich. Mit der Wartungsschaltung kann auf Befehl, wenn sich zum Beispiel Personen im Schaltanlagenraum befinden, Türen geöffnet sind oder ein Wartungsschalter betätigt wird, die Kurzzeitverzögerung sämtlicher Kurzschlussauslöser automatisch reduziert werden, um die Folgen eines Kurzschlusses für die Personen geringer zu halten. Bei besonders hohen Kurzschlussleistungen ist das zu empfehlen.
Schmelzsicherung
Sind die Kurzschlussströme sehr gering, schaltet die Schmelzsicherung nicht genügend schnell ab. Zur Abschaltung innert 0.4 Sekunden braucht eine Schmelzsicherung mindestens den 10-fachen Nennstrom, um sicher abzuschalten. Für die Abschaltung in 5 Sekunden sind immerhin noch der 6.3-fache Nennstrom (vgl. ET4-2023) erforderlich. Der Leistungsschalter mit einem elektronischen Auslöser kann je nach Fabrikat und Typ in mehr oder weniger engen Stufen bis hin beliebig auf das Ampere genau eingestellt werden. Das spart auch Kabelquerschnitt. Oft kann bezüglich der Belastbarkeit das Kabel um eine Stufe tiefer gewählt werden. Das macht besonders bei überdimensionierten Leitungen Sinn (zum Beispiel aus Redundanzüberlegungen bei RZ oder bei nur gelegentlich hoch belasteten Leitungen).
Was noch besser geht
Alle grossen Hersteller verkündigen die digitalen Fähigkeiten, wie bereits beschrieben. Schaut man sich nun aber die Internetseiten etwas genauer an, auf denen die Produkte angepriesen werden, zeigt sich bei allen mehr oder weniger ein trübes Bild. Grundsätzlich gilt: Was Google nicht findet, entdeckt auch kein Kunde. Konfiguratoren: Wenn man die lieferantenspezifischen Bezeichnungen und Abkürzungen nicht kennt, ist man vielmals verloren, erklärende Texte fehlen, oft mangelt es für die Evaluation an dringend benötigten Preisangaben. Herunterladbare Konfigurationstools, die lokal installiert werden müssen, sind eher «oldschool». Die Kritik mag hart klingen, aber es geht hier ja um Hightech-Produkte.
High-End
Die Zukunft gehört den Halbleiter-Leistungsschaltern jetzt auch in der Niederspannung und ganz besonders in der Gleichstromtechnik. Gleichstromnetze sind kapazitiv, daher sind Schaltgeräte extrem hohen Stromanstiegsgeschwindigkeiten im Kurzschlussfall ausgesetzt. Ein Halbleiter-Leistungsschalter ist in der Lage einen Kurzschluss innert 10 Mikrosekunden abzuschalten, wogegen eine konventioneller Leistungsschalter mehr als 1000-mal so lang benötigt. Letztere müssen einen Lichtbogen löschen, was besonders in der Gleichstromtechnik wegen des fehlenden Nulldurchganges anspruchsvoll ist. Bei einem Halbleiter-Schalter entsteht nur ein sehr geringer Schaltlichtbogen. Aber auch für die Wechselstromtechnik eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten bei der selektiven Staffelung. ABB hat seit 2022 den ersten Infinitus genannten Halbleiterleistungsschalter nach IEC 60947-2 auf dem Markt. In den IEC-Gremien ist derzeit der Normenentwurf spezifisch für Halbleiterleistungschalter auf dem Weg.